Vorwort des Generaldirektors Ein Gespräch mit Alfred Stern, Vorstandsvorsitzender und Generaldirektor der OMV Weitere Informationen finden Sie in der Videoaufzeichnung des Gesprächs mit Alfred Stern in unserem Online-Bericht. Herr Stern, Sie betonen immer wieder, dass ein systematischer Wandel nicht im Alleingang bewältigt werden kann. Was meinen Sie damit konkret? Der Green Deal der Europäischen Union (EU) räumt ein, dass es zur Bekämpfung des Klimawandels keine Patentlösung gibt. Das Ziel, bis 2050 Klimaneutralität zu erreichen, erfordert erhebliche gemeinsame Anstrengungen aller Sektoren. Diesen Verflechtungen und gegenseitigen Abhängigkeiten tragen wir mit unserer Strategie Rechnung. Im Sinne unseres Purpose „Re‑inventing essentials for sustainable living“ wollen wir die Grundlagen für ein nachhaltiges Leben schaffen – auf eine Weise, die mit unseren Zielen übereinstimmt, aber auch unseren Stakeholder:innen entsprechende Vorteile bringt. Das ist der systematische Wandel, den ich meine: Wir alle müssen dazu beitragen. Damit sich in unserer Gesellschaft ein Wandel vollzieht, sind Zusammenarbeit, Technologie und Innovation von entscheidender Bedeutung. Die OMV schloss im Jahr 2023 weitere strategische Partnerschaften und Allianzen. So werden wir zum Beispiel gemeinsam mit Interzero eine der größten Abfallsortieranlagen Europas errichten. Diese Anlage wird kreislauffähige und nachhaltige Rohstoffe für das chemische Recycling mit unserer patentierten ReOil®®-Technologie liefern. Das recycelte Material wird dann zu einem hochwertigen Rohstoff verarbeitet, der nach den Richtlinien der International Sustainability & Carbon Certification, kurz ISCC, zertifiziert ist. Dadurch gewinnen Kund:innen, die diesen Rohstoff als Ausgangsmaterial für die Produktion nachhaltiger Kunststoffe verwenden, einen besseren Einblick in die CO2-Bilanz der von ihnen hergestellten Produkte. Unsere patentierte Technologie soll aber auch anderen Stakeholder:innen zugutekommen. Deshalb haben wir mit Wood eine exklusive Kooperationsvereinbarung für die weltweite kommerzielle Lizenzierung von ReOil®® unterzeichnet. Die Lizenznehmer:innen werden zudem von einem umfassenden Support für den gesamten Lebenszyklus der Anlagen profitieren. „Die Gesundheit, die Sicherheit und das Wohlergehen unserer Mitarbeiter:innen und Stakeholder:innen haben für uns immer oberste Priorität.“ Können Sie einige der Maßnahmen erläutern, die die OMV derzeit umsetzt, um ihre direkten und indirekten Emissionen aktiv zu reduzieren, insbesondere was die herausfordernden Scope-3-Emissionen betrifft? Zur aktiven Reduzierung der direkten Emissionen unserer laufenden Geschäftstätigkeit in Österreich und Rumänien haben wir begonnen, erneuerbare Energie aus unseren Solarparks zu nutzen. So erzeugten zum Beispiel die PV-Anlagen am Tanklager Lobau und in Schönkirchen im Jahr 2023 zusammen mehr als 20 GWh Ökostrom, den wir für den laufenden Betrieb einsetzten. Zur Senkung unserer Scope-2-Emissionen haben wir mehrere Stromabnahmeverträge (Power Purchase Agreements; PPAs) unterzeichnet, um die Versorgung mit erneuerbaren Energien auf viele Jahre hinaus zu sichern. So werden wir beispielsweise die über den PPA mit der WEB Windenergie AG bezogene saubere Energie aus Windkraft zur Erzeugung von grünem Wasserstoff in der Raffinerie Schwechat nutzen. Mit den von uns bisher umgesetzten Projekten konnten wir gegenüber 2019 unsere absoluten Scope-1- und Scope-2-Emissionen um 25% und die CO2-Intensität unserer Geschäftstätigkeit um 20% senken. „Die Gesundheit, die Sicherheit und das Wohlergehen unserer Mitarbeiter:innen und Stakeholder:innen haben für uns immer oberste Priorität.“ ALFRED STERNChairman of the Executive Board Die Verringerung der Scope-3-Emissionen ist für viele Branchen eine zentrale Herausforderung, was die Notwendigkeit ganzheitlicher Lösungen unterstreicht. Um beispielsweise die Scope-3.11-Emissionen in Angriff zu nehmen, die mit den von uns gelieferten nachhaltigen Rohstoffen einhergehen, haben wir mit der Durchführung von Lebenszyklusbewertungen (Life Cycle Assessments; LCAs) begonnen. LCAs geben Einblick in die CO2-Emissionen eines Produkts und dienen als Orientierungshilfe für Optimierungsmaßnahmen, um die Emissionen noch weiter zu senken. So hat beispielsweise die von uns in Auftrag gegebene LCA für unsere ReOil®®-Technologie die maßgeblichen Vorteile der Kreislaufwirtschaft aufgezeigt: Bis 2030 könnten 34% der CO2e-Emissionen eingespart werden, würde man Abfallströme mithilfe der ReOil®®-Technologie chemisch recyceln, anstatt sie wie bisher zu verbrennen. Dies sind nur einige Beispiele für unsere bislang durchgeführten Projekte. Betrachtet man jedes Projekt einzeln, erscheinen die jährlichen CO2-Einsparungen nicht besonders signifikant, aber alle Projekte zusammengenommen ergeben ein ganz anderes Bild. Wir haben auch beträchtliche Investitionen getätigt, um die CO2-Bilanz unseres Produktportfolios zu verbessern. Die OMV und Wien Energie gründeten 2023 ein Joint Venture mit dem Namen „deeep“, das durch die Bereitstellung von geothermischer Energie zur Dekarbonisierung der Fernwärme in Wien beitragen soll. In Rumänien errichtet die OMV Petrom gemeinsam mit Complexul Energetic Oltenia vier PV-Parks mit einer kombinierten Kapazität von 450 MW. Diese Anlagen werden ab 2025 Strom ins rumänische Netz einspeisen. In Norwegen führten wir zusammen mit unserem Partner Aker BP eine 3D-Seismik über das CCS-Lizenzgebiet Poseidon durch. Wir setzten auch unsere erfolgreiche Zusammenarbeit mit Start-ups, Universitäten und Technologieführer:innen fort. Dies unterstreicht unsere Bemühungen, innovative Lösungen zur Emissionsreduzierung und zur Förderung der Entwicklung nachhaltiger Energien zu bieten. Die OMV hat sich 2021 zur „Just Transition“, das heißt einem gerechten Wandel, verpflichtet. Welche Fortschritte wurden seither erzielt? Ein erster wichtiger Schritt war die Verankerung der Themen Klimaschutz und „Just Transition“ in unserer Menschenrechts-Grundsatzerklärung. Gleichzeitig haben wir die Schulungen für unsere Mitarbeiter:innen priorisiert. Damit stellen wir sicher, dass sie für zukünftige Aufgaben, die sich aus unserer Strategie ergeben, bestens gerüstet sind. Damit unsere Belegschaft eine positive Einstellung zu unserem Netto-Null-Ziel entwickelt, haben wir die Sustainability Academy ins Leben gerufen. Diese Plattform bietet eine wichtige Grundlage für diverse Themen wie Umwelt, Gesellschaft und Governance (Environmental, Social, and Governance; ESG), Kreislaufwirtschaft, CO2-arme Technologien und viele andere mehr. Für Mitarbeiter:innen, die bereits in die Umsetzung unserer Strategie eingebunden sind, boten wir zusätzlich spezielle Schulungen an. So zum Beispiel konnten Mitarbeiter:innen, die zuvor in der Explorationsabteilung unseres Geschäftsbereichs Energy tätig waren, spezifische Kompetenzen erwerben, die zur Erschließung geothermischer Reservoirs erforderlich sind. Im Jahr 2023 gaben wir mehr als EUR 12 Mio für Mitarbeiterschulungen aus. Ich darf auch mit Stolz berichten, dass wir unser Ziel für 2030, die durchschnittliche Anzahl der jährlichen Lernstunden auf mindestens 30 Stunden pro Mitarbeiter:in zu erhöhen, bereits erreicht haben. Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz sind für Sie schon seit jeher wichtige Themen. Leider ist die Zahl der gemeldeten Zwischenfälle und Verletzungen in den letzten zwei Jahren gestiegen. Eine solche Trendumkehr ist immer ernüchternd. So bemerkenswert unsere Ergebnisse auch sein mögen: Wenn dies auf Kosten des Wohlergehens unserer Mitarbeiter:innen und der Beschäftigten unserer Vertragsunternehmen geht, heißt das nichts anderes, als dass wir unserer HSSE-Vision „Committed to Zero Harm – Protect People, Environment, and Assets“ nicht gerecht werden. Die Gesundheit, die Sicherheit und das Wohlergehen unserer Mitarbeiter:innen und Stakeholder:innen haben für uns immer oberste Priorität. Wir überprüfen laufend unsere Sicherheitsmaßnahmen und sind weiterhin fest entschlossen, effektive Strategien zu implementieren, um diesem Trend entgegenzuwirken. Initiativen wie „We Care“, „Back to Basics“ und „B-Safe“ in verschiedenen Teilen des Konzerns haben bereits erste positive Ergebnisse gezeitigt. Ich bin überzeugt, dass wir mit unserer aktualisierten HSSE-Strategie und einem verstärkten Fokus auf Sicherheitskultur, Führungskompetenz sowie Einbeziehung der Vertragsunternehmen unseren Weg erfolgreich fortsetzen und in puncto Sicherheit branchenführend werden können. Herr Stern, dieser Nachhaltigkeitsbericht der OMV ist gewissermaßen eine Sonderausgabe. Wir würden Sie den Weg beschreiben, den die OMV in Sachen Nachhaltigkeit in den letzten Jahren eingeschlagen hat, und was halten Sie vom neuen Berichtsrahmen? Die diesjährige Ausgabe hat tatsächlich einen besonderen Stellenwert, denn es ist das letzte Mal, dass unser Nachhaltigkeitsbericht als eigenständiger Bericht erscheint. In den letzten Jahren konnten wir uns auf unserem Weg zu mehr Nachhaltigkeit kontinuierlich verbessern. Allein in den vergangenen beiden Jahren haben wir zahlreiche Datenlücken und Schwachstellen in der Berichterstattung identifiziert und zwischen 2021 und 2022 eine Steigerung der ausgewiesenen Datenpunkte um beeindruckende 25% erreicht. Dies zeigt nicht nur, dass wir uns um eine umfassende und transparente Berichterstattung bemühen, sondern belegt auch, dass Nachhaltigkeit das zentrale Anliegen unserer Strategie ist. Unser Nachhaltigkeitsbericht richtet sich seit jeher an zahlreiche Stakeholdergruppen und bietet umfangreiche Informationen, die weit über das hinausgehen, was üblicherweise in einem Finanzbericht steht. Die größte Herausforderung in den kommenden Jahren wird es sein, ein gesundes Gleichgewicht zwischen finanzieller und nicht finanzieller Berichterstattung zu gewährleisten. Der kombinierte Bericht soll nicht nur eine reine Berichterstattung, sondern vielmehr ein Instrument sein, das die Bewertung des Potenzials für positive Veränderungen und kontinuierliche Verbesserungen unterstützt. Nicht zuletzt wird der kombinierte Bericht einen ausgezeichneten Rahmen bieten, um unsere soziale Verantwortung einerseits und unsere Konzentration auf die Erzielung einer hervorragenden finanziellen Performance andererseits in Einklang zu bringen. Die Richtlinie zur Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen und im weiteren Sinne auch die europäischen Nachhaltigkeitsberichterstattungsstandards heben das Thema Nachhaltigkeit auf eine Bedeutungsebene, die bislang finanziellen Belangen vorbehalten war. Es gilt, eine doppelte Herausforderung zu meistern: Unternehmen müssen einerseits ihre Rentabilität im Blick haben und andererseits dafür sorgen, dass ihre Geschäftspraktiken ihrer sozialen Verantwortung Rechnung tragen. Für den Erfolg der OMV bedeutet dies einen Paradigmenwechsel hin zu einem ausgewogeneren und verantwortungsvolleren Ansatz. Ich bin überzeugt, dass Transformation und Wachstum nur möglich sind, wenn wir uns auf Veränderungen einlassen, und blicke einer weiteren Integration der Nachhaltigkeit in unser Geschäft mit Zuversicht entgegen. close EU Europäische Union close ISCC International Sustainability & Carbon Certification close PV Photovoltaik close GWh Gigawattstunde close LCA Life Cycle Assessment; Lebenszyklusbewertung close CCS Carbon Capture and Storage; CO2-Abscheidung und -Speicherung close ESG Environmental, Social, and Governance; Umwelt, Gesellschaft und Governance close Mio Million(en) close HSSE Health, Safety, Security, and Environment; Gesundheit, Sicherheit und Umwelt Nachhaltigkeit bei der OMVHighlights 2023