Chemisches Recycling

Das chemische Recycling kommt dann ins Spiel, wenn das mechanische Recycling an seine Grenzen stößt. Dies ist zum Beispiel der Fall, wenn in einem Produkt mehrere Arten von Kunststoff zusammen verwendet werden. Während sich ein Großteil des harten Kunststoffabfalls sehr gut durch mechanisches Recycling verarbeiten lässt, werden flexible Materialien (z.B. Kunststofffolien) immer noch vorwiegend verbrannt oder auf Deponien entsorgt. Das chemische Recycling ist die einzige Möglichkeit, diese Herausforderung zu meistern. Bei diesem Verfahren wird die chemische Zusammensetzung des Kunststoffs verändert, um aus Kunststoffabfällen Pyrolyseöl herzustellen. Dieses synthetische Öl kann dann zur Produktion von Kunststoffen oder Produkten aller Art verwendet werden. Da die Qualität dieser Produkte durchaus mit Neukunststoff vergleichbar ist, können sie auch in streng kontrollierten und geregelten Bereichen wie dem Lebensmittel- und dem Medizinsektor verwendet werden. Kunststoffabfall wird damit zu einem wertvollen Rohstoff.

Die OMV beschäftigt sich seit 2011 mit dem Potenzial des chemischen Recyclings von Post-Consumer-Kunststoffen, im Konkreten von Polyethylen, Polypropylen und Polystyrol. Dieses Unterfangen wurde teilweise auch von der Österreichischen Forschungsförderungsgesellschaft mitfinanziert. Im Jahr 2013 ging die erste Testanlage in Betrieb. Die nächstgrößere Testanlage – die ReOil®®-100-Pilotanlage mit einer Verarbeitungskapazität von bis zu 100 kg pro Stunde – nahm 2018 den voll in die Raffinerie integrierten Betrieb auf und produziert bis zu 100 Liter Pyrolyseöl pro Stunde.

Die endgültige Investitionsentscheidung (Final Investment Decision; ) für den Bau eines Prototyps einer ReOil®®-Demonstrationsanlage im mittleren Raffineriemaßstab mit einer Verarbeitungskapazität von bis zu 16.000 t pro Jahr wurde 2021 getroffen. Die sogenannte ReOil®®-2000-Anlage wird 2023 in Betrieb gehen. Zur Finanzierung dieses Projekts nahm die OMV ihren ersten grünen Kredit auf. Dieser Kredit erfüllt die „Green Loan Principles“ und wird von einer grünen und projektbezogenen Due-Diligence-Einschätzung – der sogenannten „Second Party Opinion“ – sowie einem projektbezogenen Rahmen für grüne Finanzierungen gestützt. Die Anlage wird vollständig in die petrochemischen Produktionseinheiten der Raffinerie Schwechat in Österreich integriert, sodass die OMV eine optimale Ressourcennutzung, maximale Effizienz und höchste Arbeitssicherheitsstandards gewährleisten und gleichzeitig rund 50 neue Arbeitsplätze schaffen kann. Dies ist ein entscheidender Schritt in der Entwicklung einer rentablen, großtechnischen chemischen Recyclinganlage auf der Basis von ReOil®® mit einer Verarbeitungskapazität von bis zu 200 /J bis 2026/27.

Das in der ReOil®®®®-Anlage produzierte Pyrolyseöl wird im Steamcracker der Raffinerie zu Monomeren weiterverarbeitet, um qualitativ hochwertige Basischemikalien für die Kunststoffindustrie herzustellen. Bei Borealis werden diese Monomere dann in hochwertige Polymere umgewandelt. Borcycle™ C repräsentiert in diesem Zusammenhang das Portfolio an chemisch recycelten Polyolefinen, die Borealis derzeit auf dem Markt anbietet. Diese Produkte eignen sich für anspruchsvolle Anwendungen wie beispielsweise Materialien mit Lebensmittelkontakt. Borcycle™ C ist aber nicht nur die Bezeichnung für das Portfolio an chemisch recycelten Produkten, die Borealis seinen Kund:innen anbietet, sondern auch der Markenname für seine eigenen Technologielösungen für chemisches Recycling. Zusammen mit Borcycle™ M (das M steht für mechanisches Recycling) bildet es das Borcycle™-Portfolio mit Komplettlösungen für die Kreislaufwirtschaft von Kunststoffen, die auf den 2019 eingeführten Borcycle™-Technologien basieren.

Management- und Due-Diligence-Prozesse

Das innovative ReOil®®-Verfahren wandelt Altkunststoffe unter moderatem Druck und bei normalen Raffineriebetriebstemperaturen in Pyrolyseöl um, das dann zur Herstellung hochwertiger Grundstoffe für die Kunststoffindustrie verwendet wird.

Rohstoffauswahl

Die ReOil®®-Anlage kann verschiedene Arten von Kunststoffabfällen verarbeiten. Die Palette reicht dabei von Haushaltsabfällen bis hin zu Abfällen aus gewerblichen und industriellen Quellen. Die wichtigsten Rohstoffe sind Polyethylen (z.B. Folien), Polypropylen (z.B. Lebensmittelverpackungen und Autoteile) und Polystyrol (z.B. Verpackungen und Isolationsmaterialien). Gegenwärtig werden die recycelten Rohstoffe fast ausschließlich aus österreichischen Wertstoffsortieranlagen bezogen.

Technologie

Im Vergleich zu Glas oder Metall ist Kunststoff ein exzellenter Wärmeisolator mit schlechten Wärmeübertragungseigenschaften. Diese Eigenschaften, die Kunststoff im Alltag so begehrt machen, sind jedoch auch der Grund, weshalb Kunststoff nur schwer aufzuspalten ist. Die firmeneigene ReOil®®-Technologie der OMV basiert auf der Pyrolyse, einer bewährten Raffinerietechnik, bei der Thermokunststoffe zuerst aufgeschmolzen und anschließend bei einer Temperatur von 400°C gecrackt werden. Dies bedeutet, dass langkettige Kohlenwasserstoffe in kürzerkettige leichte Kohlenwasserstoffe gespalten werden. Eine der inhärenten Herausforderungen der Pyrolyse gründet auf der Tatsache, dass sich Kunststoffe im Vergleich zu Glas oder Metall nur schwer schmelzen lassen. Sind sie aber erst einmal geschmolzen, sind sie in hohem Maße viskos, was die für die Pyrolyse benötigte Wärmeübertragung beeinträchtigt. Die ReOil®®-Technologie ist im Vergleich zu den Verfahren des Mitbewerbs einzigartig, weil bei ihr eine innovative Wärmeübertragungstechnik zum Einsatz kommt, die es ermöglicht, die Viskosität des geschmolzenen Kunststoffs zu verringern und auf diese Weise die Wärmeübertragung zu verbessern. Als Ergebnis lässt sich das ReOil®®-Verfahren bis hin zu einem großtechnischen Verfahren (bis zu 200 kt/J) ausbauen. Durch die Integration in die OMV-Raffinerie in Schwechat, Österreich, erzielt ReOil®® zudem höhere Ausbeuten als andere nicht integrierte chemische Recyclingverfahren.

Zertifizierung

Die ReOil®®-Pilotanlage und die ReOil®®-2000-Demonstrationsanlage sind beide nach den Richtlinien der Sustainability & Carbon Certification () zertifiziert. ISCC PLUS ist eine Nachhaltigkeitszertifizierung, die von allen Akteur:innen im Bereich recycelter und biobasierter Materialien anerkannt wird. Sie ermöglicht die Rückverfolgbarkeit entlang der Lieferkette und bestätigt, dass Unternehmen Umwelt- und Sozialstandards einhalten. Konformität mit der Zertifizierung bedeutet, dass für jede Tonne zirkulären Rohstoffs, die der ReOil®®-Anlage anstelle fossiler Rohstoffe zugeführt wird, ein bestimmter Anteil des produzierten Materials als zirkulär klassifiziert werden kann. Dies wird als Massenbilanzansatz bezeichnet.

Verringerung von Emissionen

Im Jahr 2021 gab die OMV eine Lebenszyklusbewertung (Life Cycle Assessment; ) in Auftrag, um zu ermitteln, welches 2-Reduktionspotenzial ihre chemische Recyclingtechnologie ReOil®® gegenüber der Verbrennung aufweist. Die LCA wurde vom Fraunhofer-Institut für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik UMSICHT und dem Fraunhofer-Institut für Chemische Technologie (ICT) nach den -Normen 14040 und 14044 durchgeführt und von drei weltweit führenden Instituten unabhängig begutachtet. Im Rahmen der LCA erfolgt eine Analyse der verschiedenen Behandlungen einer Tonne vorsortierter gemischter Kunststoffabfälle über den gesamten Lebenszyklus (Waste-to-Gate), das heißt von der Sammlung der Abfälle bis zur Produktion von Polymeren und Energie. Die LCA vergleicht zwei Systeme, die dasselbe Ergebnis sicherstellen: (i) eine lineare Wirtschaft, in der Abfälle verbrannt werden, um Wärmeenergie und Strom zu erzeugen, und in der Polymere aus fossilen Rohstoffen hergestellt werden, vs. (ii) eine Kreislaufwirtschaft, in der diese Abfallströme chemisch recycelt werden und auf der Grundlage des erwarteten zukünftigen Energiemixes in Österreich die gleiche Menge an Wärmeenergie und Strom erzeugt wird. Aus der LCA geht hervor, dass das kreislauforientierte Wirtschaftssystem signifikante Vorteile hat: 34% der CO2e-Emissionen könnten bis 2030 eingespart werden, würde man Abfallströme, die derzeit verbrannt werden, mit der ReOil®®-Technologie chemisch recyceln.

Maßnahmen im Jahr 2022

Im Jahr 2022 wurden konzernweit folgende wichtige Maßnahmen durchgeführt:

  • Die OMV hat mit ALBA Recycling, einem Rohstoffanbieter und führenden Unternehmen in den Bereichen Recycling und Lösungen zur Abfallvermeidung, Gespräche über den gemeinsamen Bau und Betrieb einer innovativen Sortieranlage im deutschen Walldürn aufgenommen. Die Zusammenarbeit wird die Belieferung der OMV mit hochwertigen nachhaltigen Rohstoffen für das chemische Recycling durch ALBA Recycling gewährleisten und so den Kreislauf für Kunststoffabfälle schließen. Eine von ALBA Recycling entwickelte innovative, hochmoderne Sortieranlage wird über eine Kapazität zur Verarbeitung von mehr als 200 kt/J gemischten Altkunststoffen zu geeigneten Rohstoffen für die Produktion von neuwertigen Polyolefinen verfügen. Dieses innovative Sortierverfahren ermöglicht die Gewinnung von Polyolefinen aus einer Abfallfraktion, die derzeit in die Verbrennung geht. Das Verfahren wurde bereits im industriellen Maßstab getestet, und das Produkt wurde auch bereits erfolgreich als Rohstoff in der ReOil®®-Pilotanlage der OMV verarbeitet. Im Rahmen dieser strategischen Partnerschaft bündeln die beiden Unternehmen die sich gegenseitig ergänzenden Stärken und Fähigkeiten, um dem Ziel einer Welt ohne Abfall einen weiteren Schritt näherzukommen. Die endgültige Investitionsentscheidung wird Mitte 2023 erwartet.
  • Im November 2022 unterzeichneten OMV und Wood, ein weltweit führendes Beratungs- und Engineeringunternehmen im Bereich Energie und Materialien, eine Absichtserklärung für eine für beide Seiten exklusive Kooperation für die kommerzielle Lizenzierung der von der OMV entwickelten ReOil®®-Technologie. Bis Mitte 2023 will man sich über eine verbindliche Zusammenarbeit einigen. Die beiden Unternehmen beabsichtigen, die ReOil®®-Technologie gemeinsam auf den Markt zu bringen und das Potenzial für die Integration einiger anderer komplementärer Technologien von Wood auszuloten. Dazu bilden die beiden Unternehmen ein gemeinsames Technology and Engineering Delivery Team, das Kund:innen während des gesamten Prozesses der Einführung und erfolgreichen Implementierung der Technologie an ihren Standorten unterstützt. ReOil®®-Lizenzen werden inklusive eines umfassenden Supports für den gesamten Lebenszyklus der Anlagen bereitgestellt.
  • Im April 2021 initiierte Borealis eine Machbarkeitsstudie für den Bau einer chemischen Recyclinganlage an seinem Standort in Stenungsund, Schweden. Damit will das Unternehmen die bestehende Versorgung des Standorts mit chemisch recycelten Rohstoffen für die Produktion von kreislauforientierten Basischemikalien und Kunststoffprodukten ausbauen. Die Studie wurde gemeinsam mit dem Projektpartner Stena Recycling durchgeführt, dem führenden Recyclingunternehmen in Nordeuropa, das sich auf die Entwicklung nachhaltiger, kreislauforientierter Lösungen für alle Branchen spezialisiert hat. Die durch Fördermittel der Schwedischen Energieagentur mitfinanzierte Studie sollte darüber Auskunft geben, welche Technologie sich am besten für die chemische Recyclinganlage eignet und wie diese in den bestehenden Cracker am Produktionsstandort von Borealis in Stenungsund eingebunden werden kann. Im Jahr 2022 entschied sich Borealis für das Engineeringunternehmen und die Technologielieferant:innen für die Weiterentwicklung seines chemischen Recyclingprojekts in Stenungsund, Schweden. So wurde beispielsweise ein Lizenzvertrag mit Axens für das Rewind®®-Mix-Verfahren unterzeichnet, das eingesetzt werden soll, um jährlich 50 kt Pyrolyseöl aus Kunststoffabfällen zu reinigen und zu veredeln und es in ein perfektes Ausgangsmaterial für den Steamcracker umzuwandeln. Zusätzlich gewährte die Schwedische Energieagentur neue Mittel in Höhe von EUR 5,1  zur Unterstützung der Abschlussstudie. Vorbehaltlich einer positiven endgültigen Investitionsentscheidung soll die chemische Recyclinganlage im Jahr 2025 den kommerziellen Betrieb aufnehmen.
  • Im Laufe des Jahres 2022 entwickelten Borealis und ITC Packaging, ein führender europäischer Hersteller von dünnwandigen Lebensmittelverpackungen, gemeinsam eine Reihe von neuartigen und nachhaltigeren starren Verpackungslösungen, die sich speziell für den direkten Kontakt mit Lebensmitteln eignen. Die Produkte nutzen Materialien aus dem Borcycle™ C- und dem Bornewables™-Portfolio, um eine Reihe von bekannten Lebensmittelverpackungen zu verbessern, die in europäischen Supermarktregalen, insbesondere in den Bereichen Speiseeis und Fertiggerichte, zu finden sind. Diese nachhaltigeren Produkte aus chemisch recyceltem Polypropylen und Polypropylen auf Basis nachwachsender Rohstoffe wurden im Laufe des Jahres 2022 in Rekordzeit auf den Markt gebracht. Immer mehr Markeninhaber:innen und Verarbeiter:innen suchen nach Möglichkeiten, ihren ökologischen Fußabdruck durch die Verwendung nachhaltigerer Verpackungen zu verringern. Gleichzeitig ist die Produktsicherheit von Verpackungen, die mit Lebensmitteln in Kontakt kommen, von entscheidender Bedeutung. Beide Anforderungen werden durch die Kombination von chemisch recycelten und erneuerbaren Materialien erfüllt.

Ausblick

Seit den ersten Versuchen mit der ReOil®®-Technologie im Labor der OMV hat es einiges an Entwicklungsarbeit gegeben. Die ReOil®®-2000-Demonstrationsanlage mit einer Verarbeitungskapazität von 16 kt/J wird 2023 den Betrieb am OMV Raffineriestandort in Schwechat, Österreich, aufnehmen. In einem nächsten Schritt wird die ReOil®®-Technologie der OMV bis 2026/27 zu einem rentablen großtechnischen Verfahren weiterentwickelt. Dann werden bis zu 200 kt/J Kunststoffabfall verarbeitet. Darüber hinaus ist geplant, 2023/24 die ersten ReOil®®-Lizenzen auf den Markt zu bringen, was einen wichtigen nächsten Schritt in Richtung Kreislaufwirtschaft und chemisches Recycling in der Branche darstellt.

FID
Final Investment Decision; Investitionsentscheidung
kt
Kilotonne
ISCC
International Sustainability & Carbon Certification
LCA
Life Cycle Assessment; Lebenszyklusbewertung
CO2
Kohlendioxid
ISO
Internationale Organisation für Normung
Mio
Million(en)